Ein Blick zurück
Die Nostalgie des Ratskellers und der Bierschwemme
Es ist fast schon wie eine kleine Zeitreise, wenn man die Räume des Ratskellers unterhalb des Ratssitzungssaals betritt. Das Treppengeländer und die Holzvertäfelungen versprühen den Charme der 50er und 60er Jahre. Dabei erstrecken sich die Räumlichkeiten terrassenförmig über drei Etagen und stellen so ein nahezu einzigartiges Ambiente her. Früher war die Lokalität als Restaurant und Gaststätte beliebt. Bis auf das Ratsgymnasium – welches den Ratskeller als zusätzliches Klassenzimmer für den Musikunterricht nutzt – werden die Räume aktuell nicht verwendet. Wir nehmen euch mit auf einen kurzen Ausflug in Räume, deren ursprüngliche Funktion immer mehr in Vergessenheit geraten ist.
Der eigentliche „Schatz“ des Ratskellers befindet sich auf der untersten Ebene. Umgeben von Stühlen, Tischen, Musikinstrumenten und einem bunten Allerlei (die leeren Räume werden zunehmend als Lager verwendet) hat sich an der Ostwand der Wolfsburger Künstler Horus Engels mit einem Fresko verewigt. Die Karikatur war ein Geschenk zur Einweihung des Wolfsburger Rathauses 1958 – und fast niemand war damals eingeweiht. Darauf zu sehen: Das „who is who“ der Wolfsburger Verwaltung und Politik seiner Zeit. An einer langen, mittelalterlichen Tafel sind unter anderem der damalige Oberbürgermeister Arthur Bransch und sein Verwaltungspendant, Oberstadtdirektor Dr. Wolfgang Hesse, zu sehen. Daneben haben es unter anderem auch Bischof Thietmar von Merseburg, Günter Graf von der Schulenburg oder der Maler selbst auf das Fresko geschafft. Wer wer ist, war auch für die Öffentlichkeit lange ein (vieldiskutiertes) Geheimnis. Erst ein paar Jahre später brachte Horus Engels Licht ins Dunkel. Heute benennt eine Infotafel unterhalb der Karikatur die einzelnen Figuren. Übrigens: Eine Delegation aus Wolfsburgs ehemaliger Partnerstadt Luton fand das Fresko so faszinierend, dass sie Horus Engels damit beauftragten, auch Luton eines zu erstellen.
Wer sich auf dieser untersten Etage des Ratskellers genau umsieht, wird eine weitere Treppe entdecken, die noch eine Etage tiefer führt – in die „Bierschwemme“. Auch diese kleinen Nischen hat Horus Engels mit Karikaturen verziert. Die Bierschwemme war einst ein beliebter Treffpunkt für Ratsmitglieder und Mitarbeitende der Verwaltung nach Feierabend. Über welche Themen damals bei schummrigem Licht und unter vier Augen diskutiert wurde, überlassen wir mal unserer Fantasie. Wir gehen aber davon aus, dass die Bierschwemme nicht grundlos zu ihrem Namen gekommen ist.
Zurück im Ratskeller widmen wir uns einer kleinen Legende. Denn ein Tagungsraum im Keller des Rathauses verfügte einst über ein Wandbild, dass das frühe Stadtpanorama Wolfsburgs zeigte. Der Dresdener Maler Paul Kurt Bartzsch - der übrigens auch den Pfauenbrunnen am Nordkopf entwarf - verzierte die Wände mit den Silhouetten einer Vielzahl von repräsentativer Gebäude. Neben dem Schloss Wolfsburg, dem VW-Bad, dem Rathaus und dem VW-Kraftwerk waren unter anderem auch die St. Annenkirche, der Klieversberg und das Ratsgymnasium zu sehen. Wann und auf welchem Wege das Wandbild verschwand, lässt sich heute anhand der überlieferten Akten nicht mehr nachvollziehen.Die Räume hatten bisher viele Verwendungen: Von 1958 bis in die 70er als Gaststätte „Ratskeller“ bekannt, zwischendrin ein Fraktionsraum und anschließend wieder Gastronomie – doch seit der letzte Pächter, ein chinesisches Restaurant, den Ratskeller 2013 verließ, stehen die Räume leer. Wir haben eine repräsentative Nutzung durch unsere Verwaltung geprüft, unterm Strich ist das aber einfach zu teuer. Ob und wie der Ratskeller und die Bierschwemme in Zukunft genutzt werden und der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden können, gerät bei uns aber nicht in Vergessenheit. Die Suche nach umsetzbaren Möglichkeiten geht weiter. Bis dahin musiziert erst einmal weiterhin das Ratsgymnasium im Charme der 50er und 60er Jahre.