Die St. Annen-Kirche ist in Wolfsburg eines der am frühsten erwähnten Gebäude. Für das Jahr 971 wird bereits ein früher Vorgängerbau erwähnt. Der Bischof von Halberstadt ließ etwa an der Stelle der heutigen St. Annen-Kirche eine „Holzkirche mit Holzkloster“ für Nonnen und einen Prior bauen. Mit der Zeit verringerte sich die Zahl der Nonnen im Kloster, während die Gebäude immer mehr verfielen. Schließlich wurde das Kloster aufgelöst.
Der überwiegende Teil des heute noch existierenden Baubestandes datiert vermutlich in das zweite Drittel des 13. Jahrhunderts. Die Bauweise der St. Annen-Kirche war ursprünglich romanisch. Im Zuge von nachträglichen Umgestaltungen kamen aber auch gotische bis hochmittelalterliche Einflüsse hinzu. Als Baumaterialien für die Steinkirche dienten Velpker Sandstein sowie Feld- und Sandsteine von den naheliegenden Steinbrüchen. Ausgestattet wurde die Kirche mit zunächst einer Glocke. Eine zweite Glocke kam im Jahr 1423 dazu.
Einen weiteren Hinweis auf die Kirche enthält die Urkunde „Acta Wluesborch“ vom 17. Juni 1302, in der der zuständigen Pfarrer Hildebrand (Hildebrandus, plebanus de heslinghe) erwähnt wird. Anhand der Urkunde wird zudem die enge Verbindung mit der Geschichte des Schlosses Wolfsburg und den Herren von Bartensleben deutlich. Der Kirchensprengel gehörte zum Gebiet des Bischofs von Halberstadt. Der Bezirk der Pfarrei wurde später erweitert. Ab 1311 ging das Recht, in der Gemeinde den „Zehnt“ zu erheben, auf die Schlossherren über.
Der Erzbischof von Magdeburg stellt 1559 den Herren von Bartensleben einen Lehensbrief mit den dazugehörigen Rechten und Besitzungen aus, der auch die St. Annen-Kirche umfasste. Seit 1558 betreute der in Wittenberg ausgebildete Valentinus Spengler die Gemeinden St. Marien (Alt-Wolfsburg) und St. Annen.
Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) wurden der Ort und die St. Annen-Kirche von marodierenden Truppen immer wieder geplündert und teilweise zerstört.
Nach dem Tod des letzten Herren von Bartensleben ging das Patronat 1742 auf die Grafen von der Schulenburg über.
1867 bis 1868 ließ Gräfin Anna Luise Charlotte von der Schulenburg, die Schwester des Patrons der St. Annen-Kirche, umfangreiche Wiederherstellungs- und Restaurierungsmaßnahmen durchführen. Am wuchtigen Westturm werden Findlinge, Quadersteine aus rotem Velpker Sandstein sowie Kalkstein aus den Steinbrüchen am Klieversberg verwendet, um ein neues, großes Portal einzubauen. Im Altarraum wurden Nischen und Reste eines gotischen Altars und die gewölbte Apsis als Wahrzeichen der romanischen Kirche wiederhergestellt.
1938 mit Gründung der „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ erwirbt die „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH“ die Patronatsverpflichtungen. Es folgt ein Wechsel von der Kirchenprovinz Sachsen zur Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.
Es existierten nur zwei Kirchengebäude in ganz Wolfsburg: St. Annen und St. Marien. Ein Teil des kirchlichen Lebens fand in Notkirchen statt. Der enorme Zuzug von Menschen machte die Errichtung weiterer Kirchen unverzichtbar.
Chronologie
971 |
Erste urkundliche Erwähnung der St. Annen-Kirche, Vorgängerbau aus Holz |
13. Jahrhundert | Errichtung der St. Annen-Kirche als romanische Saalkirche mit Turm, Langhaus, Chorraum und Apsis aus Bruchstein; die Kirche wird mit einer Glocke ausgestattet |
1423 | Eine zweite Glocke wird im Kirchturm angebracht |
1564 | Erste lutherische General-Kirchen-Visitation seitens des Erzstiftes Magdeburg |
1618 - 1648 | Während des Dreißigjährigen Krieges kam es zu Plünderungen, Brandschatzung und teilweiser Zerstörung der Kirche, die Reparaturarbeiten erforderlich machten. |
1661 | Wiederaufbau der Kirche abgeschlossen |
1867 - 1868 | Gräfin Anna Louise Charlotte von der Schulenburg lässt die St. Annen-Kirche umfänglich renovieren und stiftet einen Kindergarten sowie eine Schule für die Kinder der Bediensteten des Gutes Wolfsburg und des Rothehofes. |
1959 - 1962 | Letzte Restaurierung der St. Annen-Kirche unter der Leitung von Prof. Dr. Ing. Frank D. Hemmer. Einbau der ersten sechs, von Pastor Erich Bammel thematisch festgelegten Kirchenfenster |
Kirchenfenster in St. Annen
Als die St. Annen-Kirche in Wolfsburg-Hesslingen in den Jahren 1959-1961 neugestaltet wurde, gab Pastor Erich Bammel (1913-1985), der gleichzeitig auch die Diakonie in Wolfsburg aufbaute, die Gestaltung von sechs Fenstern vor. Deren praktische Umsetzung übernahm der Künstler Professor Wilhelm Rupprecht (1886-1963) aus Fürstenfeldbruck.
Die Fenster befinden sich an der Nord-, Ost- und Südseite der Kirche (s. Skizze). Die Darstellungen orientieren sich an biblischen Themen: der Sündenfall von Adam und Eva (Nr. 1), die Versuchung (Nr. 2), die Kreuzigung (Nr. 4) und die Auferstehung Jesu (Nr. 5), die Ausgießung des Heiligen Geistes – das Pfingstwunder (Nr. 6) sowie die Früchte des Heiligen Geistes (Nr. 7).
Die Werke der Barmherzigkeit, mit denen die Früchte des Heiligen Geistes (Nr. 7) veranschaulicht werden, sind ein beliebtes Thema in der bildlichen Darstellung geworden. Über Kirchentüren und auf Altarbildern sind sie zu sehen, aber eben auch in gestalteten Kirchenfenstern. Rupprecht setzte es so um: Im unteren Fensterfeld sind zwei Diakonissen zu erkennen, die, Rücken an Rücken stehend, die Hungernden speisen und die Durstigen tränken. Zwei weitere, gleichfalls Rücken an Rücken stehende Diakonissen im Mittelteil des Bildes beherbergen Fremde und bekleiden Nackte. Im Bogenfeld oben sind zwei Diakonissen am Rande des Bildes zu sehen, die die Figuren der Szenen zwischen sich einfassen. Eine pflegt die Kranken, während die andere einen Gefangenen tröstet.
Alle drei Teile des Fensters ergeben zusammengenommen ein ganzheitliches Bild: Durch ihre Positionierung im Gesamtgefüge bilden die sechs Diakonissen die Gestalt eines Baumes mit Stamm und Krone. Die Aussage ist eindeutig: Wie unter einem Baum finden Hilfsbedürftige Schutz in der Diakonie. Dementsprechend wird dieses Fenster auch als „Diakoniefenster“ bezeichnet.
Zwei weitere Fenster wurden hingegen nicht von Pastor Bammel erdacht. Eines davon – Der gute Hirte – wurde nach einem Entwurf des Bildhauers H. Lammers geschaffen und 1979 final eingesetzt (Nr. 3). Das Fenster im Raum mit dem Taufbecken – Die Taufe – wurde von G. Hausmann entworfen und passt thematisch zur Funktion (Nr. 8).
Text von Werner Scholz (bearbeitet von Daniel Nieswand)
